HAUT: Arbeitsschutz und- Sicherheit in der Praxis
Sicherheit in 73 Meter Höhe
Organisatorisch, technisch, persönlich – oder einfach vom Bauherrn gefordert: Die Sicherheit auf Baustellen erfordert vielerlei Maßnahmen, um Beschäftigte zu schützen. Und das ist wichtig, denn Unfälle haben hier oftmals schwerwiegende Folgen. Brüninghoff setzt daher nicht nur in der eigenen Produktion auf ein umfangreiches Arbeitsschutzkonzept, sondern erarbeitet für die jeweiligen Bauprojekte individuelle Ansätze. Beim Bau des HAUT in Amsterdam wurden einige Lösungen gefunden, die der Hybridbau-Spezialist auch in Zukunft für andere Projekte nutzen wird.
Foto: © Zwartlicht / Team V Architecture
Das HAUT in Amsterdam ist in vielerlei Hinsicht besonders: Mit seinen 21 Stockwerken zählt das Wohngebäude zu den höchsten Hochhäusern seiner Art. Denn es wird in Holz-Hybridbauweise erstellt. Der Wohnturm wurde durch Lingotto initiiert – das Unternehmen ist Bauherr und Projektentwickler zugleich. Realisiert wurde das Objekt nach Plänen des niederländischen Architekturbüros Team V Architectuur in Kooperation mit Arup Niederlande. Generalunternehmer ist J.P. van Eesteren aus Gouda. Letzterer betraute Brüninghoff aus dem münsterländischen Heiden mit dem Vorfertigen, Liefern und Montieren von Brettsperrholzwänden, Brettschichtholzstützen, Holzbetonverbunddecken, Stahl und Stahlbetonfertigteilunterzügen sowie Stahlbetonfertigteilstützen. Das 73 Meter hohe Bauprojekt eröffnete nicht nur Fragen in Bezug auf Statik und Brandschutz – auch hinsichtlich des Arbeitsschutzes mussten wesentliche Aspekte berücksichtigt werden.
Erster Sicherheitsvorabcheck
Wie bei jedem Projekt führte Brüninghoff zunächst den Sicherheitsvorabcheck durch. Dabei wird unter anderem geklärt, wie tief geplante Baugruben und -gräben sind. Auch wird eruiert, ob sich Hochspannungsleitungen in der Nähe des Baufelds befinden. Die Begehbarkeit der Geschoss- beziehungsweise Dachflächen und die Befestigung der Baustellenzufahrt sind weitere Themen. Zudem werden hierbei bereits erste Fragen zur Baustelleneinrichtung betrachtet: Wie sieht es mit Lagerplätzen aus? Wie eng ist die Baustellenzufahrt? Sind Kran und Bauzaun vorhanden? Da diese Punkte bei jedem Bauprojekt geklärt werden müssen, geht Brüninghoff an dieser Stelle mit einem standardisierten Fragebogen vor. Beim HAUT in Amsterdam ergaben sich beispielsweise Besonderheiten aufgrund der direkten Lage an der Amstel und den beengten Zufahrtswegen beziehungsweise fehlender Lagerflächen auf dem Baugrundstück. Anlieferungen mussten damit sehr genau getaktet werden. Ein Kran wurde durch das beauftragte Generalbauunternehmen gestellt – drei unterschiedliche Kranführer waren im Einsatz. Da es sich um ein Projekt in den Niederlanden handelt, war dabei auch zu berücksichtigen, dass keine Sprachbarriere auftaucht und die Kommunikation auf der Baustelle unkompliziert und zielführend erfolgen kann.
Online-Test zur Sicherheit
Um die Baustelle in Amsterdam zu betreten, muss man nicht nur ein Drehkreuz passieren beziehungsweise über kontrollierte Zuwege fahren, sondern auch einen Online-Test zur Sicherheit auf der Baustelle absolvieren. Diese sogenannte GPI B&U Einweisung wurde auf Initiative großer Bauunternehmen in den Niederlanden entwickelt. Eingängige Animationen und Videos erinnern an mögliche Risiken auf der Baustelle. Auf sehr verständliche und einprägsame Weise werden beispielsweise Absturzsicherung, Stolpergefahren oder Hygieneregeln für die Mittagspause thematisiert. Auch die Verkehrssicherheit und das Tragen von Warnkleidung finden Berücksichtigung – ebenso wie das sichere Anschlagen von Lasten oder das Arbeiten mit Gefahrstoffen. Dabei belehren die Videos nicht, sondern es wird immer wieder betont, dass es sich vor allem um ein Auffrischen des bereits vorhandenen Wissens handelt – dem Nutzer wird auf Augenhöhe begegnet. Nach kurzen Bewegtbildsequenzen folgen zehn Multiple-Choice-Frage. Wer mindestens acht davon richtig beantwortet, erhält ein persönliches Zertifikat mit QR-Code. Dieses ist Voraussetzung, um sich auf der Baustelle des HAUT zu bewegen.
Regelmäßige Besprechung zum Arbeitsschutz
Dass das Thema Sicherheit besonders bewusst angegangen wird, zeigen auch morgendliche Jour fixe zum Arbeitsschutz. Alle Baustellenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter treffen sich in Kleingruppen – pro Gewerk. Mit dabei sind auch Vertreter des Bauherrn. In diesem Rahmen wird analysiert, was gut läuft, welche Probleme eventuell auftauchen und an welchen Stellen Verbesserungen notwendig sind. Bereits vorab war zudem vom Bauherrn ein Workplan gefordert, der mögliche Gefahren, geplante Lastaufnahmemittel und kollektive Maßnahmen erläutert.
Kollektiv- vor individualschutz
Generell ist ein Kollektivschutz immer dem Individualschutz vorzuziehen. Es gilt das STOP-Prinzip: So ist zunächst zu prüfen, ob Gefahrenstellen durch ein weniger kritisches Vorgehen ersetzt werden können (Substitution). Im nächsten Schritt werden technische Schutzmaßnahmen eingesetzt – wie beispielsweise Gerüste und Geländer. Dann folgen organisatorische Maßnahmen. Zum Beispiel kann damit erzielt werden, dass bestimmte gefährliche Bereiche gar nicht betreten werden. Erst im letzten Schritt sind persönliche Schutzmaßnahmen für dann noch verbleibende Gefährdungen zu treffen. Darunter fallen unter anderem Rückhalte- sowie Auffanggurte, Gehörschutz oder besondere Kleidung.
Maßnahmen zur Absturzsicherung
Um eine effektive Absturzsicherung zu erzielen, ist Anschnallen somit das letzte Mittel. Das Arbeiten in einer Höhe von bis zu 73 Metern erfordert ein besonderes Konzept, das Abstürze nach innen und nach außen verhindert. Zu diesem Zweck werden bei der Produktion die einzelnen Bauteile mit Hülsen ausgestattet. Auf der Baustelle in Amsterdam erfolgt dann das Anbringen von Stahlgittern zur Absturzsicherung. Das geschieht direkt am Boden – bevor das Bauteil am Kran in die Höhe schwebt und final montiert wird. Die Absturzsicherung ist so gestaltet, dass jeder Montagemitarbeiter bei der Arbeit umlaufend gesichert ist. Ist ein Element montiert, folgt das nächste – und die dazwischenliegende Absturzsicherung kann entfernt werden, da jedes weitere Element bereits am Kran mit der notwendigen Absturzsicherung ausgerüstet ist. Alle Arbeitsfugen sind durch den temporären Fallschutz kollektiv nach innen und außen gesichert. Somit ist während des gesamten Projektablaufs durchgängig für Absturzsicherung gesorgt.
Sprachbarrieren beim Krananschlag vermeiden
Um Sicherheit zu gewährleisten, ist insbesondere bei Projekten mit Teilnehmern aus unterschiedlichen Ländern zu berücksichtigen, dass Sprachbarrieren auftreten könnten – und diese dann zu Missverständnissen und damit verbundenen Risiken führen könnten. So ist beim Transport in die Höhe für eine reibungslose Kommunikation mit dem Kranfahrer zu sorgen. In Amsterdam waren drei wechselnde Kranfahrer tätig, die wiederum über Headset mit dem Anschläger verbunden waren. Der Anschläger wurde vom Auftraggeber gestellt und war die kommunikative Schnittstelle zwischen Montageteam und Kranführer. Er sorgt dafür, dass die Lasten kontrolliert an den Haken kommen. Aufgrund der Höhe und Lage des Projektes stellten auftretende Winde oftmals eine Herausforderung dar. Waren diese zu stark, wurde vor Ort der Montageablauf geändert und beispielsweise stabförmige Bauteile den Wandelementen vorgezogen, um die Angriffsfläche des zu transportierenden Bauteils zu reduzieren. Schönwetterperioden wurden maximal ausgenutzt, um schlechtes Wetter auszugleichen. Bei dem Transport der Bauteile in die Höhe stellte sich noch eine weitere Herausforderung, die sicher gelöst werden musste. So werden die Decken des Wohngebäudes als hybride Konstruktion aus Holz und Beton ausgeführt. Diese vorgefertigten HBV-Decken werden mit dem Kran in die Höhe transportiert und dort montiert. Dazu musste vorab ein spezielles Lastaufnahmemittel entwickelt werden – denn die Traglast der Standardlösungen am Markt waren nicht ausreichend. Um einen sicheren Höhentransport zu gewährleisten, wurden zunächst an der HafenCity Universität Hamburg Zugversuche durchgeführt. Nach dem bestandenen Test der eigens entwickelten Lastaufnahmemittel konnten diese auf der Baustelle eingesetzt werden.
Kopfschutz mit Zusatzfunktion
Herabfallende Gegenstände stellen grundsätzlich eine Gefahr dar – wenn es sich um hohe Höhen handelt, ist das Risiko ernsthafter Verletzungen noch größer. Dieser Aspekt fand bei der Wahl der Bauhelme besondere Berücksichtigung. Standardlösungen könnten sich vom Kopf lösen – daher wurde in Amsterdam Bergsteigerhelme eingesetzt. Sie sind nicht nur optisch attraktiv, sondern mit Kinnriemen und Nackenschürze als UV-Schutz auch funktional so gestaltet, dass sie der Anforderungen der BG-Förderung genügen. Ein weiterer Aspekt: In der dunklen Jahreszeit konnten die Helme mit einer Stirnlampe mit LED-Beleuchtung ausgestattet werden. Komfortabel befestigt, einfach aufladbar mit dem Handyladekabel sorgt diese für verbesserte Sicht – und unterstützt damit die Scheinwerfer, die am 106 Meter hohen Kran angebracht sind. Diese sorgen für eine Grundbeleuchtung, sind allerdings beim Schwenken nicht mehr optimal ausgerichtet. Für die Verkehrswege fand man im Treppenhaus eine unkonventionelle, jedoch effektive Lösung: Diese sind mit wasserdichten Lichtschläuchen ausgestattet und geben damit klare Orientierung.
Funktionale und komfortable Kleidung
Bei der Funktionskleidung setzt Brüninghoff auf ein Angebot, das auch einen gewissen „Coolness-Faktor“ aufweist. Für den Baustelleneinsatz geeignete Kleidung sollte nicht funktional, sondern auch optisch überzeugen – dann ist die Akzeptanz direkt viel höher. „Wenn der Anbieter sonst Kleidung für Surfer und den Wassersport verkauft, vermittelt das natürlich insbesondere für jüngere Mitarbeiter direkt ein positives Bild – zum anderen ist Erfahrung mit effektivem UV-Schutz definitiv vorhanden“, erklärt Martell Arning, Bereichsleiter Montage und Logistik bei Brüninghoff. Das Bewusstsein, dass man sich vor Sonneneinstrahlung schützen muss, ist zwar in den letzten Jahren deutlich gestiegen – damit das langärmelige UV-Shirt jedoch täglich als Arbeitskleidung zum Einsatz kommt, muss es eine Akzeptanz wie die normale Alltagskleidung bekommen. Die angebotene Funktionskleidung wird von vielen Dachdeckern getragen – und wird finanziell in der Anschaffung von der BG gefördert. Auf hohen Tragekomfort setzt Brüninghoff auch bei der Auswahl des Schuhwerks. Oftmals ist hierbei die Weite ein Problem – dann wird die Stahlkappe vorne unbequem. Da Baustellenmitarbeiter jedoch einen großen Teil ihrer Zeit in diesen Schuhen verbringen, sollte bei der Auswahl darauf geachtet werden, dass sie den natürlichen Bewegungsablauf nicht verhindern. Sie müssen somit gut passen. „Das fängt dann schon bei der Größenauswahl an – mit Baak haben wir hier einen Anbieter gefunden, der wirkliche Weitenklassen anbietet“, erklärt Arning. Auf einer internen Online-Plattform bietet Brüninghoff seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterschiedliche Funktionskleidung an – natürlich immer mit Warnschutz. Zusätzlich dazu gibt es einen Miet- und Waschservice. Für den besonders komfortablen Gehörschutz lassen sich beim örtlichen Hörgerätehersteller im Münsterland passgenaue Modelle individuell anfertigen. Brillenträger können sich Korrektionsschutzbrillen anfertigen lassen.
Hinsichtlich der Arbeitssicherheit ist jedes Projekt individuell zu betrachten. Beim HAUT in Amsterdam wurden dabei Lösungen gefunden, die sich künftig für Baumaßnahmen jeder Größenordnung adaptieren lassen. Ansätze, die komfortables Arbeiten ermöglichen, stoßen dabei naturgemäß auf hohe Akzeptanz bei den Mitarbeitern. Bei der Einführung neuer Schutzmaßnahmen ist es daher zielführend, den Austausch mit dem Montagepersonal zu suchen und ihre Erfahrungen einzubeziehen.
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